Kein Interview
 
Email-Interview geführt mit Karsten Weber im Mai 2003 von Felix Seifert/ ABSURD 3000

Es sollten auch noch weitere Fragen nachgereicht werden. Ist aber nie passiert. Stattdessen wurde das Erscheinen des Magazins ABSURD 3000 eingestellt.

Dem geneigten Leser soll jedoch das Interviewfragment nicht vorenthalten werden:






Die "Filmgruppe Chaos" wurde 1975 gegründet. Könntest Du eine kurze Vorgeschichte des Kollektivs geben? (Wie kam es zur Gründung? Gab es eine konkrete Initialzündung? Welchen "Hintergrund" hatten die Mitglieder? Fügte sich das Kollektiv aus eher gegensätzlichen Positionen und Ansätzen - nicht nur - an Film zusammen oder gab es eine Art gemeinsamen Konsens?) Wie lange bist Du selbst "Chaos"-Mitglied?

Ich habe zu Weihnachten 74 ne Super-8 Kamera gekriegt. Am 1.1.75 haben wir zum 1. Mal als Filmgruppe Chaos zu dritt damit gedreht. Das war "Die Rache des Fußgängers", zeigen wir auch heute noch gern. Wir waren damals 14 jährige Schüler.

Verfügt Ihr über feste Einrichtungen d.h. einen eigenen Abspielort/Kino, ein Ton/Schnitt-Studio, eine eigene Hardware-Palette wie Kameras etc.?

Ja ne Hardware-Palette haben wir. Vielleicht sollten wir dafür mal einen Container bestellen, fast alles Zeug ist vom Flohmarkt und mit ganz viel Glück funktioniert davon die Hälfte...

Wir hatten mal im besetzten Kieler Sophienhof das KAOS KINO in dem einmal pro Woche Super 8 Programme liefen. Im besetzten Nachbarhaus hatten wir ein Filmstudio, d.h. einen Raum zum Schneiden und Vertonen. Nach der Räumung zogen wir mit dem Arbeitsraum in eine Alten Meierei, die die Stadt als Ersatzraum zur Verfügung gestellt hat. Heute nutzen wir da hauptsächlich nur noch das Fotolabor, ansonsten machen da Kumpels Musik. Das Filmebasteln passiert jetzt eher zuhaus. Faites Vos Jeux wurde in Bremen an den Geräten von AKAS geschnitten.

Seit einigen Jahren zeigen wir einmal im Monat ein Off-Filmprogramm in dem kleinen Kieler Musikclub SCHAUBUDE (vormals Tanzdiele).

Einige grundsätzliche Themen der "Filmgruppe Chaos" finden sich im Pamphlet auf der Netzseite . Könntest Du diese an dieser Stelle trotzdem kurz skizzieren?

Grundsätzliche Themen??? Es gibt vielleicht etwas wie eine Grundhaltung, das sich mit der Welt auf Kriegsfuß befinden, sich hier völlig fehl am Platze fühlen...

Wie finanziert Ihr euch? In welcher Rechtsform seid ihr zusammengeschlossen?

Nix Rechtsform. Wir arbeiten einfach unter einem Namen zusammen. Und Geld gibt es durch Filmveranstaltungen oder den Verleih von Filmen. Ein paarmal haben wir auch tatsächlich Filmförderung gekriegt. MALDOROR und FAITES VOS JEUX hätten ohne niemals entstehen können. Die Förderungen haben aber nicht einmal die Kosten gedeckt. Ansonsten legen wir wert darauf, arbeiten zu können, egal wie die Filminstitutionen politisch oder finanziell drauf sein mögen, also unabhängig das weiterzumachen, was wir immer schon gemacht haben...

Eure "History" zeigt eine über nunmehr 25 Jahre andauernde kontinuierliche Filmproduktion und regelmäßige Veranstaltungen. Inwiefern hat sich die "Filmgruppe Chaos" in dieser Zeit (einschneidend) personell und auch inhaltlich von der filmischen/politischen Ausrichtung verändert?

Meist waren wir über Jahre eine feste Crew, über 28 Jahre hat sich da hin und wieder was geändert. Fast immer war´s ein Kern von 3-4 Leuten, vielleicht noch 2 am Rande dabei und eine Handvoll Leute, die man mal bei größeren Projekten um Hilfe bitten kann.

Politisch und filmisch reagieren wir auf´s Zeitgeschehen und sind auch schnell gelangweilt. In den 80er Jahren haben wir aufeinmal aufgehört Straßenschlachtfilme zu machen. Irgendwie kam man da nicht von der Stelle. Es hätte im Grunde gereicht nur einen einzigen zu machen und einfach den Titel zu wechseln, je nachdem ob gerade Brokdorf, Wackersdorf, Gorleben, Startbahn West oder Ronald Reagen in Berlin ansteht. Da haben wir noch die "Frontfilmtrilogie" gemacht als Reaktion auf unsere Erfahrungen mit dem Machen und Zeigen dieser Filme. Uns wurden einige Filme Beschlagnahmt, nicht nur von Bullen, sondern auch von Demonstranten. Dieselben waren immer die begeistersten, wenn ihre Heldentaten auf der Leinwand waren. Wir haben dabei immer versucht darauf zu achten, daß keiner durch unsere Bilder belangt werden kann, also daß möglichst keine Gesichter zu sehen sind. In Gorleben haben wir einen Film schweren Herzens vergraben, denn da waren Leute bei strafbaren Handlungen zu erkennen, und wir waren nicht sicher, heil aus dem Wald zu kommen. Normalerweise hätten wir hinterher einfach die Gesichter herausgekratzt. Zurück zur Trilogie. Der 1. war Born to Lose mit Randale am Bauzaun der Frankfurter Startbahn West. So richtig für die Szene zum mitschunkeln. Dann Bonner Perspektiven. Wir vorm Bildbetrachter und diskutieren zu Straßenschlachtbildern vom Weltwirtschaftsgipfel in Bonn die Wirkung und Bedeutung vom Filmen und von Film und von eigener Geschichtsschreibung... Als 3. "Helden und Krieger" machte sich über die Selbstgerechtigkeit der Politszene lustig. Dann betretenes Schweigen, das war spaßig. Als wir in den nächsten Jahren mehr mit Experimentellen Bildern zu Musik herumspielten wurde uns vorgeworfen "früher wart ihr politisch, heute macht ihr MTV-Clips". Als wäre es politisch absolut wirkungs- und folgelose Bilder von knüppelnden Bullen zu machen. Wir wollten lieber ein Ausdruck finden für das eigene Lebensgefühl, für die Hoffnungslosigkeit verbunden mit dem Willen sich nicht an die Verschissenheit dieser Welt anzupassen. Anfang der 80er gab es einen Boom an Super 8 Festivals, absolut aufregend, radikal und explosiv. Das ist aber in kürzester Zeit von kunsttümelnden Arschlöchern und sterbenslangweiligen Filmhochschülern übernommen worden. Als Satire darauf "Tanzmaschinen" gemacht. Den gleichen Film nochmal in Schwarzweiß als "Berlin Version" hintenran, alle Helden der Subkultur als Porträts eingeschnitten und als Soundtrack dazu im Vollsuff auf Schrotteilen rumgeklöppelt. In London fand man den Film überhaupt nicht ironisch, sondern völlig cool und glaubte die Musik wäre von den Einstürzenden Neubauten. Ist also auch nach hinten losgegangen. Ansonsten halte ich das alles für Quark mit politischem Film und unpolitischem. Er hat immer einen Ausdruck und es ist die Frage in welche Richtung es geht, das anpasserische und verlogene finde ich viel problematischer als etwas offen reaktionäres.

Mit unserem letzten Film FAITES VOS JEUX sind wir wieder an einem ähnlichen Punkt wie vor 20 Jahren, die Leute sagen "seid ihr aber politisch". Mein Gott, ist das alles erbärmlich.

Gab es Momente in Eurer Geschichte, in der der Fortbestand der Gruppe existentiell bedroht war - sowohl von "innen" als auch "außen"?

Von außen überhaupt nicht. Da sind wir eher die Vorzeigeexoten. Die "Offiziellen" posen schon fast damit, daß es hier sowas gibt. Als einer von uns in den 80ern mal die CDU Landesregierung angerufen hat, waren die ganz aufgeregt mal mit einem richtigen Revoluzzer zu telefonieren...

In den politisch sehr bewegten Zeiten, in denen auch im Gegenlicht-Super 8 Verleih ein Dokumentarfilm beschlagnahmt wurde, versuchten ein paarmal irgendwelche drittklassigen Verfassungsschutz V-Leute bei uns mitzumachen. ("Vielleicht als Kabelträger?") Absolut albern. Wir hatten auch mal vor eine Fortsetzung des Häuserfilms zu machen um zu zeigen, daß die Kieler Hausbesetzungen nur durch die Räumung ein würdevolles Ende gefunden haben. Die Szene hatte sich eigentlich schon selbst aufgelöst ohne, daß der Staat großartig dabei hätte helfen müssen. (Den Film haben wir aber nie gemacht.) Bei uns war es ganz ähnlich. Seit Mitte der 80er versuchten wir uns an einem größeren Projekt, dem Knastfilm (der nur in einer Zelle spielen sollte). Wir kamen aus Braunschweig und Hamburg (soweit war die Gruppe inzwischen verstreut) in Kiel immerwieder zusammen und brachten über die Jahre es zu vielleicht 50% der benötigten Aufnahmen. Es ging alles unter im Psychofilm untereinander. Nicht nur, daß wir den Knastfilm nicht fertiggekriegt haben, wir haben über 4 Jahre nichteinmal einen einminütigen Kurzfilm fertigbekommen, egal wie hart wir es versucht haben. Die Gruppe ist erst einmal implodiert und es bestand eine ganze Zeit nur noch ein Vakuum. Seitdem war jede neue Besetzung nicht mehr so langlebig und fest.

Früher haben wir wochenlang den Arbeitsraum nur verlassen um Getränke und Lebensmittel ranzuschaffen. Ansonsten haben wir jeden Schnitt und jeden Ton stundenlang diskutiert. Das klingt vielleicht nervig. Wir wollten aber die Welt kapieren und filmisch adäquat reagieren. Das vermisse ich heute.

Aus der Vielzahl von Aktionen und Veranstaltungen der "Filmgruppe Chaos" würde ich mich freuen, wenn Du einige herausragende oder Dir persönlich am Herzen liegende kurz vorstellen könntest.

Au ja! Aus der Masse der Veranstaltungen sind einige wirklich in Erinnerung geblieben. Z.B. Jugendzentrumsveranstaltungen mit freiem Eintritt wo das Publikum lieber am Kickern war und nur mal zu den Filmen kam, wenn der Tisch gerade besetzt war. Oder ein Open-Air Festival in Hamburg Bergedorf. Der Ton war ausgefallen und es hagelte Bierdosen gegen die Leinwand, die Leute wollten einfach die nächste Rockcombo sehen. Ich bin einfach mit dem Projektor ganz schnell abgehauen ohne die Gage abzuholen.

Unser Italientournee war auch eine Sache für sich. Die Veranstalter versuchten uns meist vor irgendeinen politischen Wagen zu spannen und machten Interviews mit uns, um bestätigt zu kriegen, was sie immer schon wußten. Das Publikum war oftmals hardcore, lag von Suff und Drogen dichtgeballert mit dem Kopf auf dem Tisch, der Sabber lief aus dem Maul. An den Wänden überall Parolen mit Kampf gegen Faschismus, Bullen, Staat und Drogen...blabla. Die Leute hätten aber lieber Schwarzenegger oder Fußball gesehen. Aus einem straighten Politzentrum sind wir dann rausgeflogen weil wir nicht allzu politisch korrekt waren. Wir haben gesagt, wir gehen aber nur, wenn wir noch nen Kasten Bier und was zu Kiffen kriegen. Kam auch sofort. Ich wußte am nächsten Tag beim besten Willen nichtmehr, wie wir mit dem Auto nach Venedig gekommen sind. Unser letzter Auftritt in Mailand hat alles wieder gutgemacht. Das Publikum hat in einigen Filmen Dinge bemerkt, die 15 Jahre lang in Deutschland keine Sau gesehen hat. In dem Interview danach konnten wir über Dinge reden, die uns interessierten und nicht über Neonazis in Deutschland und die Wiedervereinigung. Die haben sich da mit den gleichen Undergroundtexten und der komischen Musik beschäftigt wie wir. War schon was besonderes Seelenverwandte zu treffen.

In unserem KAOS KINO hatten wir ja schon hinlänglich Publikumserfahrungen. Meist hatten wir 5 Zuschauer mit 8 kläffenden Kötern da und bei 2 Mark Eintritt gab´s die Frage ob Hausbesetzer billiger reinkommen. Und wenn wir Straßenschlacht in Berlin gezeigt haben war der Laden rappelvoll. Aus Rache haben wir dann das KAOS KINO SPEZIAL-Programm angekündigt mit unseren "greatest Hits". Das Kino war wieder proppevoll und wir zeigten (mit entsprechender Musik) 3 min Straßenschlacht, 3 min Dick & Doof und 3 min Hardcoreporno. Danach haben wir einige 1000W Scheinwerfer angeknipst und Kameras und Mikro auf das Publikum gerichtet. Die sind tatsächlich wortlos 90 min sitzengeblieben. Die haben uns echt fertiggemacht.

Eine tolle Sache war auch unser Sterbehilfe-Programm. Wir hatten extra eine Punk-Band zusammengestellt für eine Film-Musik-Bühnenperformance. Sterbehilfe hieß die Band und das Programm STERBEHILFE FÜR DIE ZIVILISATION. Das Programm hatte ernormen Wumms und wir haben die Leute echt umgehauen. Es wäre ein leichtes damit bekannt zu werden. Den Musikern ist der Erfolg aber zu Kopf gestiegen. Die wollten dann nur noch ein paar Bilder zur Egobebauchpinselung. Wir haben uns dann von der Band getrennt. Die hat sich ein paar Monate später aufgelöst.

Vor relativ kurzem haben wir auch mal wieder eine Performance gemacht. wieder bei einer Kulturveranstaltung in einem angemieteten Bunker. Wir haben das Programm übertrieben plakativ KAPITALISMUS - IMPERIALISMUS - KRIEG genannt. Einen großen Saal voller Säulen mit Projektoren vollgestellt. Mit Dias haben wir übergroße Schlagworte an die Wände Projiziert, wie NEW ECONOMY, AUBEUTUNG, BÖRSE, PROFIT, IMPERIALISMUS... und so´n Zeugs.Dazwischen überall Bombardements aus einem amerikanischen Army Lehrfilm.Zusätzlich einen Bundeswehrwerbefilm, Industriefilme über Stahlkochen oder die Herstellung von Leiterplatinen und ein Dokumentarfilm über einen Streik. Bei allen Projektoren haben wir den Bordlautsprecher voll aufgerissen und ein DJ hat zusätzlich Platten mit Arbeiterliedern, Nazipropaganda und historischen Politikerreden gemischt. Der Lärm hallte beachtlich in den Räumlichkeiten des Bunkers, und wenn man herumging, konnte man jeweils unterschiedliche Texte verstehen. Die Wirkung der Show kam im Zusammenhang mit der Bunkeratmosphäre schon mächtig daher. Und eigentlich war das nur eine Spontanidee und ganz schnell zusammenimprovisiert.

Die besten Sachen lassen sich einfach nicht planen. Das erste Mal, daß wir im Kölner Gebäude 9 eine Kurzfilmnacht machen wollten, war ein Großeinsatz mit 8 oder 9 Leuten geplant. wg. einer Grippewelle waren dann nur 3 einsatzfähig. Wir mußten uns auf die Schnelle ein anderes Auto leihen und kamen kurz vor dem Publikum. Der Saal war schon brechend voll, als wir noch am aufbauen waren. Zu Anfang war der Projektor noch nicht ausgerichtet und der halbe Film ging neben die Leinwand. Das Volk war aber voll am Johlen. Es wurde eine absolut legendäre Filmnacht.

Das hat sich rumgesprochen und irgendwann wurden wir vom Kölner Kurzfilmfestival für eine Filmnacht als Höhepunkt und Abschlußveranstaltung angeheuert. Das ganze war auf allen Plakatwänden der Stadt und im Fernsehen. Wir sollten einen Ballsaal mit 2000 Leuten füllen, es kamen keine 200. Schon auf die Ankündigung, wir würden jeden mitgebrachten Kurzfilm ohne Vorzensur ins Programm nehmen, gab es höhnisches Gelächter von Filmstudenten. Der Veranstalter verlor an diesem Abend viele Tausend Mark, behandelte uns aber gut und bezahlte vernünftig, so daß wir mit kompletter Crew und einem Anhänger voller Geräte gleich zum Volcano-Festival nach London weiterfahren konnten.

Toll war auch das erste Zusammentreffen mit Londons EXPLODING CINEMA (mit denen wir später ein paar Deutschlandtouneen gemacht haben). Als Einstand habe ich OBEN DER HIMMEL UNTEN DER TOD ins Programm geworfen und als sich die animierten Würstchen zu Hakenkreuzen zusammenfügten standen ein paarhundert volltrunkene Briten Kopf. Am Ende des Abends kamen zwei durchgeknallte Hühner zu mir mit den Worten " we wanna be your groupies!". Das sind schon eher Veranstaltungen nach meinem Gusto. Aber leider nicht die Regel. Aus unerfindlichen Gründen hatten wir in Kiel einmal eine unglaubliche Presse, als wären wir Stars. Das Kino mit 100 Plätzen war übervoll, einige saßen auf den Treppenstufen und viele wurden wieder nachhause geschickt. An dem Tag war die Technik nicht auf unserer Seite und die Moderation taugte wohl auch nix. Oder die Leute hatten etwas völlig anderes erwartet. Bis zur Mitte des Programms waren schon mehr als die Hälfte der Plätze leer, nach der Pause kam nur noch eine Handvoll wieder zurück. Ich dachte, wir würden nie wieder in Kiel ein Publikum kriegen.

"Das Medium selbst ist scheißegal" sagst Du über Film in dem Sinne, daß es von Dir als bevorzugtes Transportmittel genutzt wird. Was schätzt Du an Film?

Vielleicht die Möglichkeit Dinge auszudrücken, die schwer in Sprache zu fassen sind.

Bevorzugst Du eine bestimmte Technik/optische Form (16mm, Video etc.)?

Früher war Super 8 für uns Religion. Super 8 hat halt einen Charme und eine Schönheit, die mit keinem anderen Format zu vergleichen ist. Das haben auch Madonna oder Daimler Benz für ihre Werbeclips genutzt. Und mit etwas Glück kriegt man auf dem Flohmarkt eine komplette Ausrüstung für 10-20 Euro. Und es ist möglich für einen ähnlichen Betrag einen Kurzfilm zu produzieren, der auf internationalen Festivals läuft (haben wir geschafft). Damit ist´s wohl das beste Medium für die "independent" Idee. Die neue Generation kultet ziemlich mit Super 8 rum. Ist genauso hip wie Pril-Blumen oder Adidas Streifen. Die Siebziger waren aber einfach Kacke, daran gab´s nix cooles und keinen Grund etwas zu glorifizieren.

Wir haben auch mit allem anderen auch rumgespielt. 16mm ist zwar in großen Räumen wesentlich besser projezierbar, jedoch für den Normalsterblichen kaum erschwinglich. Video ist auch interessant, wenn´s richtig nach Video aussieht, also Bildstörungen und die 3. VHS-Kopie haben durchaus ihren Charme. Auch die Möglichkeiten alter Videomixer und selbstgebastelter Feedbacks sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Das kann weitaus interessanter sein als all das, was es an aktueller Hard- und Software gibt. Und bei FAITES VOS JEUX haben wir auch mit DVs gearbeitet, sind aber den umgekehrten Weg gegangen als man es heutzutage erwartet: vom digitalen zum analogen Bild, Computerbilder auf oldschool 16mm Material umkopiert und da richtig mechanisch von Hand die Filmemulsion bearbeitet. Und die Super 8 Fahne werden wir weiter hochhalten, da es ein absoluter Jammer wäre, wenn dieses Medium vom Markt verschwinden würde.

Benutzt Du noch gerne weitere Medien-Formen wie etwa den klassischen Druck, das Internet, Hörspiel etc.?

Klar, die ganze Palette. Wir hatten auch den Streik der Londoner Druckereiarbeiter gegen Rupert Murdoch unterstützt und ein paar Streikaktivisten auf Infoveranstaltungen durch Deutschland geschickt. Beim Machen von Flugblättern und Plakaten versuchten wir drauf zu achten, daß es nicht so doof aussieht, wie bei der Politszene. Neuerdings hab ich mitgeholfen ein Internetforum über Arbeitsbedingungen ( www.chefduzen.de) auf die Beine zu stellen, und bei Radio- und Piratenradioprogrammen hatten wir auch schon die Finger drin. Plattenauflegen oder selbst irgendwie Lärm machen macht auch Spaß.

Gibt es für Dich filmische Vorbilder oder - wie ich etwa für mich behaupten würde - eine "filmische Sozialisation"?

Als Jugendlicher hab ich X-Mal Easy Rider, Alexis Zorbas und Clockwork Orange gesehen. Ansonsten haben mich "Schmelzdahin Film" beeindruckt und ich bin Fan von Warnix Machtnix, Peter Sempel und Jan Peters. Ich liebe gute Unterhaltung, kann auch Hollywood oder eine Schnulze sein. Aber das meiste nervt oder langweilt mich tödlich.

Häufig taucht in Besprechungen zur "Filmgruppe Chaos" auch der Begriff Trash auf, obwohl ich das als unbeholfene Kritiker-Luftblase bezeichnen würde. Trotzdem: Hast Du ein Verhältnis zum Trash-, Exploitation und B-Kino?

Für mich ist das in erster Linie Problem der Schreiberlinge, die ein Label brauchen um ihr Produkt zu verkaufen. Die Form ist ja z.T. Ausdruck der Produktionsbedingungen und No Budget bringt natürlich andere Bilder als Hollywood hervor. Gegen die sterilen und aalglatten Filme der Filmhochschulen haben wir manchmal etwas extra rotzig hingehauen. Früher war trashige Verarschung der Medien noch subversiv und machte Sinn, heute ist das aber die normale Form des Comedy Rotzes der Privatsender. Da will man ja nix mehr mit zu tun haben. Mich interessieren die Genres nicht sonderlich. Überall kann mal was mit Seele finden aber die große Masse ist völlig banal. Alles was gestern Underground war, wird heute nochmal als Trend Kommerziell ausgeschlachtet. Die ganzen Neo-Splatter Filme und Pseudo B-Movies sind ein Graus.

Kurz zurück zu obigem Zitat: Ich persönlich mag an Euren Filmen und Veranstaltungen, daß sie eine Gegenkultur und -position entwerfen oder imaginieren, ohne eben die konventionellen Mittel des Films zu benutzen d.h. die Mittel einer letztlich kapitalistischen Filmproduktion, die Film als Ware, als zu verkaufendes Produkt begreift (und sich dies natürlich auch in der gewählten Ästhetik ausdrückt).

Danke. Hört sich gut an. Viel bewirkt haben wir aber wohl kaum.

Bevor ich Dich vor allem nach Euren aktuellsten Filmen MALDOROR und FAITES VOS JEUX fragen möchte, wollte ich natürlich auch auf die vorhergehenden (mir leider nicht bekannten) Filme eingehen. Vielleicht könntest Du auch hier auf einige der Dir besonders wichtigen/persönlich liebgewonnen "Chaos"-Produktionen eingehen, die sich in der umfangreichen Filmographie auf der Netzseite finden?

Über die Jahre hat sich eine beachtliche Menge selbst produzierter Filme angesammelt. Da ist keiner bei für den wir uns schämen würden. Nachdem sie jahrelang eingestaubt in der Ecke lagen, zeigen wir einige heute lieber, als damals wo sie neu waren. Bei Kurzfilmprogrammen kommen wir mit einem ganzen Karton voller Filme und verändern das Programm je nach Publikum und Stimmung, notfalls zeigen wir irgendwas um zurückzunerven.

Um mal was herauszupicken: LEBENDE LEICHEN SCHAFFEN ZWINGENDE ZWEIFEL ist eine recht treffende Beschreibung der Stimmung in den frühen 80ern. OBEN DER HIMMEL UNTEN DER TOD, eine Wurstanimation auf Zeitungspapier. Und ACID SHOWDOWN ist eine 5-Europroduktion, die auf internationalen Festivals lief. Ein Schwarzweißwestern vom Flohmarkt in Säuren getunkt und mit Soundfetzen aus einem John Wayne Film vertont.

Und auf unsere Super 8 Langschinken ES GEHT MIR GUT und DER HÄUSERFILM (jeweils zweieinhalb Stunden!) sollte auch noch hingewiesen werden. Es geht mir gut ist ein Spielfilm mit vielen dokumentarischen Szenen vom Zeitgeschehen und die treffendste Beschreibung des Lebensgefühls der ausgehenden Siebziger Jahre, die ich kenne. Leider kann man den Film kaum einem Publikum zumuten, zu lang, zu öde. Das Münchner Werkstattkino will wohl noch dieses Jahr eine Woche Programm mit Filmen von uns versuchen. Da testen wir den Film seit langem mal wieder vor Publikum. Wie gesagt, etwas quälend, aber ich find ihn toll.

Und DER HÄUSERFILM ist ein Dokumentarfilm über den Kieler Häuserkampf Anfang der 80er. Wir waren recht jung und hatten tierisch Respekt vor den großen, bösen Hausbesetzern. Durch das Dokumentieren kamen wir langsam in die Szene bis wir dann zu den wenigen gehörten, die bis zur Räumung dabeiblieben. Im vergangenen Jahr hatte eine junge Künstlergruppe einen Bunker gemietet um da eine Nacht Ausstellungen und Party zu machen. Die wollten dann auch DEN HÄUSERFILM zeigen und hatten keinerlei Ahnung wie lang der Film ist. Da waren dann 300 Leute, die eigentlich auf eine Party wollten und haben sich gebannt den alten Schinken angeguckt. Da der Ton absolut mumpfig und kaum zu verstehen war, konnte noch nicht einmal auf einer anderen Etage die Musik beginnen, die Party ging somit 3 Stunden verspätet los. Soll eine legendäre Veranstaltung gewesen sein, leider war ich nicht dabei. Unsere ehemalige Mitstreiterin Claudia ist der Meinung, daß dieser Film heute wichtiger ist als damals und daß der erbarmungswürdige Ton aufgearbeitet werden muß, damit mehr Leute sich diesen Film angucken können. Seitdem kämpft sie sich durch Berge alter Tonbandspulen um aus vielen Bruchstücken Interviews und O-Ton zu rekonstruieren. Sie sucht die alten Platten zusammen und hat selbst einen Tonmeister des NDR zur Mithilfe gewonnen.

MALDOROR ***Fragenteil wird nachgesendet***

FAITES VOS JEUX

Eine recht komplexe Eingangsfrage: Könntest Du die Produktionsweise (sowohl Materialsammlung- und Auswahl als auch Schnitt und Postproduktion) und die technischen Hürden bei FAITES VOS JEUX schildern? Im speziellen interessieren mich zudem die Entstehung des Soundtracks sowie die Nachbearbeitung des Films durch Zerkratzen, die Verwendung von Säure oder Filzstiften usw.


FAITES VOS JEUX ist die logische Konsequenz unserer jahrelangen Filmarbeit. Hier kommt das an filmischen Experimenten zusammen, was wir in diversen Kurzfilmen ausprobiert haben. Und inhaltlich ist es auch die Zusammenfassung dessen, was oft für uns Thema war: die Beschreibung einer Zeit und des Zeitgeists. Etwas plump ausgedrückt geht es um eigene Geschichtsschreibung contra herrschende Geschichtsschreibung.

Zur technischen Bearbeitung könnte man einen ganzen Aufsatz schreiben.

Ein paar Streiflichter wären die Bearbeitung des 16mm Negativs mit Schmirgelpapier, das Herausschneiden schmaler Streifen mit dem Skalpell oder einem Stanzeisen, und das Einsetzen entsprechender Bildteile aus der Arbeitskopie (Positiv) und Einkleben mit Tesa. Außerdem Einsatz von Letraset oder biologische Kriegsführung: Das Negativ in eine Mischung von Vollmilch mit Frischei tunken und anschließend für einige Wochen in einen Plastiksack einknoten. Das Ergebnis ist zwar nicht kontrollierbar, sah bei uns aber recht cool aus. Und die verschiedenen Techniken wurden nicht über den ganzen Film ausgewalzt, sondern wurden je nach Szene und Inhalt eingesetzt.

Während die Bearbeitung der Emulsion in unseren kleinen Experimentalfilmen entwickelt wurde, so kommt die Videobearbeitung aus unseren Erfahrungen mit Clubvisuals. Da habe ich mir auch eine Menge von Lepke B. abgekuckt, ein Musiker und Filmemacher, den ich beim Londoner Exploding Cinema kennengelernt habe. Er ist berüchtigt für seine NoBudget-Arbeitsweise. Er hat auch ein paar Bilder und einen Teil des Sounds zum Film beigesteuert.

Ich habe einige Jahre für (zumeist britische) Bands und Musiker Touren organisiert, da rühren noch einige Kontakte her. Es kamen auch immer wieder Anfragen von Musikern, die gerne mal einen Filmsoundtrack machen wollten. Das bot sich also an. Nach einem Eintrag ins Gästebuch einer russischen Website für elektronische Musik meldeten sich völlig andere Musiker. Wir mußten den später gekommenen irgendwann sagen," nein, Schluß, wir haben genug!". Wir haben jedem Musiker eine Videokassette mit einer ca. fünfminütigen Sequenz zugeschickt, sie kannten weder die anderen Musiker, noch den Rest des Films. Das hatten wir mit gewissen Muffensausen gemacht, denn das aus-der-Hand-geben der künstlerischen Kontrolle ist bei Maldoror nach hinten losgegangen. Wir hatten uns einen Spaß gemacht aus der Verteilung der Szenen an Musiker gemacht, die deutsche Wiedervereinigung wurde in Polen vertont, der Afghanistankrieg in der Türkei und der 11. September in den USA. Das 11.9. Video ist seltsamerweise nie bei dem amerikanischen Musiker angekommen. Da haben wir es per Internet freigeschaltet. Und der Showdown des Films wurde gemeinsam von einem Musiker in Tokio und einem in Hamburg vertont, die ihre Arbeit im Netz koordinierten. Und das klingt wie aus einem Guß, obwohl die beiden einander nicht kannten.

Wer sind die als Ko-Regisseure genannten "AKAS - Alles könnte anders sein" und "Copyright Violation Squad"?

Die Copyright Violation Squad hat sich um den Kanadischen Soundtüftler John Oswald mit seinem Projekt Plunderphonics gegründet und hat weltweit einige Niederlassungen. Plunderphonics verwurstet bekannte Musik und legt es daran von der Plattenindustrie angegriffen zu werden. Mit einer Veröffentlichung hoffte er darauf von Michael Jackson verklagt zu werden. Die Copyright Violation Squad hat Musiker für den Soundtrack beigesteuert und hilft beim organisieren einiger Veranstaltungen im Ausland.

AKAS ist eine Bremer Gruppe, die wir schon über 10 Jahre kennen. Wir haben uns gegenseitig Veranstaltungen organisiert, naja AKAS mehr für uns als umgekehrt. AKAS hat jahrelang einen Klub betrieben mit wöchentlich wechselndem Programm, eine offene Bühne für Austellungen, Slampoetry, Performance und Film. Sie selbst machen Videos und Aktionen oftmals als Angriff auf die elitäre Künstlerszene und die Spießigkeit der Alternativkultur. Wir haben wenig Erfahrung mit Video und keine Ahnung von Bildbearbeitung am Computer (und uns fehlen auch entsprechende Geräte), da lag es schon auf der Hand zusammenzuarbeiten.

Gab es schon je Copyright-Beschwerden?

Bisher nicht.

Aus welchen Quellen stammt das Material? Handelt es sich um ausschließlich privat gesammeltes d.h. bereits vorhandenes oder wurde für FAITES... auch gewünschtes Material zusammengetragen?

Das Gros des Materials kam aus dem reichhaltigen eigenen Archiv, aber auch aus der Videothek an der Ecke. Nicht zu vergessen ist das unglaubliche Archiv des Bremer Fotografen Volker Busch, der das übelste aus dem Fernsehen sammelt, Werbung, Verkaufssendungen, Fernsehshows, Esoterik und ähnliches. Kumpels, die beim Schnitt über die Schulter schauten hatten auch noch Vorschläge, was rein müsse. So war es dann doch recht aufwendig noch eine Szene zu besorgen, die man mal irgendwo gesehen hat und die dann UNBEDINGT noch rein muß.

Als ein Freund am 11.9. anrief und sage ich soll den Fernseher anmachen und ein Video in den Rekorder schieben, war ich doch ein wenig genervt, was sich dort bot: Die live-Übertragung aus New York war das, was eigentlich für den Science Fiction - Part des Films geplant war. Die Wirklichkeit hat das Filmkonzept schon vor der Fertigstellung eingeholt.

Eine eindeutige Aussage von FAITES... "herauszufiltern" fällt - zumindest mir und es ist dem Film denke ich nur zuträglich - wegen der Fülle und komplexen Assoziationen des verwendeten Materials eher schwer. Mir scheint der Film in seinen Hauptsträngen (a) eine Geschichte (linken) Widerstands, (b) eine z.T. mit Spaß, z.T. mit Ernst geführte moderne Kampfansage nicht nur an das Copyright sondern auch den Kapitalismus und (c) eine in gänzlich neuem Gewand daher kommende pure Subversion, eine Anti-"Neues Jahrtausend"-Vision darzustellen.

Das Interpretieren müssen wir schon anderen überlassen. Es ist schön zu sehen, wenn Leute durch den Film aufgewühlt oder mitgerissen werden. Einige halten ihn aber auch für flach und stumpf. Wir haben durchaus versucht viele Gedanken, Ideen, Späße und Herzblut in den Film zu legen. Ob etwas davon rüberkommt muß jeder schließlich für sich selbst entscheiden. Es war ein Experiment und wir haben nicht auf die sichere Form klassischen Erzählkinos gesetzt.

Ein Ziel von FAITES... ist natürlich der Angriff auf das Copyright bzw. das Entfachen einer (deutschen) Copyright-Diskussion , wie auch auf der Netzseite beschrieben. Könntest Du dies skizzieren?

Wir haben den Kopf vollgehämmert gekriegt mit Bildern, nach denen wir nie gefragt haben. Die Werbung schafft Ikonen einer Zeit. Und wir haben dieses Bildergebräu halbverdaut ausgekotzt und unser Bild der Wirklichkeit hinterlassen. Hätten wir nach den Rechten an den Bildern erst gefragt, wäre dieser Film nie entstanden. Die Industrie versucht sich Verwertungsrechte an absolut allem zu sichern. Wir hoffen, daß möglichst viele sich von den Gesetzen nicht schocken lassen und einfach das machen, was sie machen wollen. Beim unverheirateten Zusammenleben oder dem Drogenkonsum mußten die Gesetzte den gelebten Realitäten nachziehen.. Die HipHopper sind mit ihren massenhaften illegalen Samples und der Grafitykultur schon ganz gut davor. Wir sind keine Juristen, eigentlich interessiert uns das alles nicht, aber wir fürchten uns auch nicht, sollte uns jemand juristisch angreifen wollen...

Hervorragend fand ich die konsequente "Beballerung" mit Bild und Ton, die für mich keinesfalls ins Leere läuft oder Selbstzwecken verhaftet bleibt. Ist dieser Hammerschlag als bewußte "Film-Waffe" benutzt worden? Wart Ihr Euch vorher über den Effekt bewußt?

Dochdoch, waren wir. Wir waren nur überrascht, daß es auch wirklich so funktionierte , wie geplant...

Welche Bedeutung spielt hier die Verwendung elektronischer Musik als Soundtrack?

Elektronische Musik ist inzwischen Mainstream und meist zum Weglaufen.

Nun, der Medienterror läuft weltweit und wir versuchten das zumindest ansatzweise durch Bilder internationaler TV- und Kinokultur wiederzugeben. Aber nicht nur die herrschende Medienindustrie operiert global, unser Gegenentwurf soll es (zumindest von der Idee her) auch. Bildinterpretationen in Sounds erstellt an diversen Ecken dieses Globus hatten auch den geplanten Nebeneffekt (der in Maßen aufgeht), daß die Musiker sich in ihrem Land um Vorführung des Films bemühen. Ausgesucht haben wir Musiker, deren Arbeit wir schätzten. Es ergab sich von selbst, daß es weitgehend elektronische Musik wurde. Es ist eben ein Umgang mit Bildern aus vergangener Zeit aus heutiger Sicht, also wurden die Bilder zeitgemäß und nicht historisierend interpretiert. Es fügten sich sogar die Passagen ineinander, obwohl die Musiker nicht das kannten was vor oder nach ihrem Teil sein würde.

Wenn man - wie die "film-dienst"-Kritik - beispielsweise an die Ludovico-Therapie denkt, der sich Alex aus CLOCKWORK ORANGE unterzieht, könnte man diesem Mittel auch eine Art "indoktrinierenden Charakter" unterstellen.

Oh yeah! Bei unser Veranstaltung in Belgrad wünschte sich ein Zuschauer, daß überall Menschen diesen Film um die Ohren gehauen kriegen sollten. Er wollte auch von den Betreibern des Senders B92 (unseren Gastgebern), daß FAITES VOS JEUX im serbischen Fernsehen gezeigt wird. Nachdem er den Leuten des Senders entgegenwarf ,"auch B92 ist korrupt" endete der englischsprachige Teil der Diskussion und wurde auf serbisch fortgeführt. Wir staunten etwas irritiert über die dann sehr erhitzte Wendung des Geschehens.

Ja, wir wünschen uns weltweite Zwangsvorführungen von FAITES VOS JEUX mit Augenklammern und allem was dazugehört!

In einem Artikel zu FAITES... findet sich folgender Vorwurf: "Wir nähern uns den 90ern... ,Either you're with us or you are with the terrorists', blökt die Bush-Fratze ... ,Wollt ihr den totalen Krieg?' antwortet Hitler (sic!) im Sportpalast. Eisenstein hin oder her, hier wird die Aussage plump, der Film selbst zur Propaganda. ... Die Filmpiraten machen ihr Spiel weiter, zeigen die in Hochhäusern detonierenden Flugzeuge des 11. Septembers mit eben jener Genüßlichkeit des Schreckens, der auch schon an den damaligen Nachrichtensendungen irritierte. ... Der Film wird flacher, indem er eindeutiger werden will. Und man sehnt sich wieder nach der intelligenten Verfremdung, dem Symbolismus der ersten halben Stunde." Wie siehst Du diese Kritik?

Wir wurden viel angefeindet von der Szene der "Antideutschen" (die die USA für eine antifaschistische Macht halten) während wir von Amerikanern überschwengliches Lob bekamen.

Die US-Regierung hatte eine Werbefirma für die Propagandafront angeheuert, die zuvor bezahlt wurde zu behaupten das Internationale Olympische Komitee IOC sei nicht korrupt. Ihr Produkt war: Saddam=Hitler. Auch: Milosevic=Hitler. Wir haben diese ganzen Gut/Böse Schemen nicht ernstgenommen und damit herumgespielt. Die Wirklichkeit ist das Produkt von Werbeleuten. Und so simpel plakativ erscheint das im Film. Nur wurde dieses Plakat anders als gewohnt zusammengeklebt. Und die harschen Reaktionen bestätigen ja nur, daß Leute damit nicht klarkommen. Wir finden den plumpen Witz arschlustig!

Könntest Du die Vermischung von "Realszenen" (TV-Nachrichten etc.) und "fiktionaler Szenen" (Unterhaltungssendungen, Samstagabend-Shows, Spielfilme etc.) erläutern, die etwa bei den Szenen zum 11. September sehr bewußt angewendet wird?

An der Montage haben wir ein Jahr gesessen. Da sind so viele Gedanken, Assoziationen und Querverweise drin, das paßt nicht in ein paar Zeilen. Wir hatten von Zuschauern auch interessante Interpretationen von Szenen gehört, die uns gefallen haben, an die wir selbst aber gar nicht gedacht hatten.

Wie war die bisherige Publikumsresonanz?

Verdammt gut. Ein paar gehen immer, weil sie nix damit anfangen können, einige reagieren sauer und viele sind absolut begeistert. Oftmals schätzt ein älteres Publikum eher die erste Hälfte des Films während die jüngeren eher auf die rasantere 2. Hälfte (mit aktuelleren Ereignissen) abfahren. Jeder scheint seine eigenen Lieblingspassagen zu haben. Der Film "funktioniert" wirklich so, wie wir uns das gewünscht haben. In Belgrad wurde uns gesagt, ein serbisches Publikum konsumiere nur, eine Diskussion dürfen wir aber nicht erwarten. Als das gesamte Publikum aber blieb und die Diskussion dann völlig abging, waren wir baff: Eine Frau bedankte sich dafür, daß es wir einen Vorwand geliefert haben endlich mal zu diskutieren.

Dietrich Kuhlbrodt bezeichnet FAITES... als " Unterhaltungsfilm-von-unten " . Ich denke, er meint dies in dem Sinne, daß er für den Zuschauer einen unproblematischeren Zugang besitzt als etwa die der reinen Information verpflichtete Dokumentation oder der häufig bis zur Unkenntlichkeit dechiffrierte Kunst/Experimentalfilm (was natürlich nicht gegen diese Formen spricht).

Die Idee war schon einen Unterhaltungsfilm zu machen. Eine neue und zeitgemäße Form des Unterhaltungsfilms. Er hat etwas von den Clubvisuals, elektronische Musik und dazu eine sich ständig verändernde Fototapete. Aber hinter der schönen Oberfläche ist eine Story, ist Inhalt, und dahinter findet man immer weitere Schichten, Möglichkeiten und Assoziationen. Das mag zwar nicht jedermanns Sache sein, aber mein Vater war bei der Premiere und er ist über 70 und kann mit Experimentalfilmen überhaupt nichts anfangen. Er kam beim Rollenwechsel zu mir und sagte wie spannend es wäre und daß er neugierig ist wie sich die Story weiterentwickelt.

Wie war die Resonanz der Presse auf MALDOROR und FAITES VOS JEUX?

Wir haben eine Pressemappe, mit der man durchaus Rumposen kann. Das gilt für beide Filme. Wer hat sonst schon Besprechungen im Britischen Guardian oder in der New Yorker Village Voice? Das ist zwar recht hübsch, aber weitgehend folgenlos.

Gab es auch die Idee oder Versuche die Filme einem "herkömmlichen" Verleih anzubieten oder im Eigenverleih mit "richtigem" Bundesstart etc. herauszubringen?

Ein paar Freunde hatten bei Maldoror sich nach einem Verleih umgeschaut, sind aber nicht fündig geworden. Und bei FAITES VOS JEUX dachte ich, jetzt haben wir die Erfahrung mit dem Eigenverleih und die Kontakte. Warum soll denn noch ein Verleih Geld einstreichen, daß in unseren Taschen viel besser aufgehoben ist? In Wirklichkeit funktionierte es nicht so. Nach einem halben Jahr Organisationsarbeit als Vollzeitjob stand das Ergebnis in keinem Verhältnis zum Aufwand. Der SPIEGEL schrieb uns, der Film wäre zwar interessant, er würde aber nur darüber berichten, wenn er auch wirklich in vielen Kinos läuft. Viele Kinos buchen einen Film aber nur, wenn er in diesem Käseblatt auch besprochen ist. Beide Seiten wollen nur auf ein sicheres Pferd setzen. Es ist wirklich alles so einfach gestrickt. Wir wissen jedenfalls zur Zeit nicht weiter. Es ist nicht gelungen über die Klippe zu kommen nach der der Film zum Selbstläufer wird. Ich hätte inzwischen nichts dagegen, wenn ein Profi den Film vertreibt. Aber wer will schon so einen Film!?!

Wie sind Eure Erfahrungen mit der Filmförderung?

Auf die kulturelle Filmförderung in Schleswig Holstein laß´ ich nichts kommen. Es steht zwar sehr wenig Geld zur Verfügung, aber es gibt wohl kaum eine vergleichbare Institution, die so wenig korrupt und so offen ist.

Wie stehst Du dazu, sich als unabhängig agierendes Filmkollektiv bei staatlichen Töpfen in Form der Filmförderung zu "bedienen" (obwohl ich hier einschränken muß, daß dies etwa bei dem mir bekannten, äußerst korrekten "Filmbüro NW" keinen Widerspruch darstellt; aber die sind ja auch kürzlich von der "Filmstiftung NRW" geschluckt worden)?

Ich habe kein Problem damit Geld anzunehmen, egal von wem. Mir ist noch nie welches aufgedrängt worden. Und man sollte sich schon fragen, warum es vergeben wird. Solange es nicht an inhaltliche Bedingungen geknüpft ist, finde ich´s völlig O.K.. Leider ist Geldsegen sehr angenehm und man macht sich allzu schnell davon abhängig. In London gab es in den 80ern politisch radikale schwarze Videogruppen. Als dann staatliche Gelder flossen war es vorbei mit dem politischen Engagement.

Interessant fand ich, daß Du in einem Artikel auf der Netzseite die Erwartungs- und Rezeptionshaltung des Publikums bemängelst. Verkürzt verstand ich das so (und kann dies aufgrund eigener Erfahrung bestätigen), daß heutige von der Zielrichtung her subversive Aktionen und gegenkulturelle Veranstaltungen scheinbar nur der Zerstreuung und dem Entertainment der Anwesenden dienen: Obwohl "anders" gemeint, scheint es sich für viele lediglich als ein "besseres Multiplex oder TV-Programm" darzustellen. "Hip, in und cool" contra mitdenken!

Es geht ja nicht um eine Oberlehrerhaltung: Wir haben den Plan und Ihr hört mal schön zu! Es reicht ja nicht eine gutes theoretisches Konzept. Das Leben ist doch beknackt genug, da haben Leute durchaus das Recht sich unterhalten zu lassen. Wir würden uns freuen, wenn wir diejenigen unterhalten könnten, die von dem völlig angewidert sind, was allgemein für Unterhaltung gehalten wird. Diese ganzen Moden wie 70er-,80er-oder Schlagerrevivals sind doch derart langweilige Medienprodukte... Wer das hip findet hat´s auch nicht besser verdient.

Wir haben auch schon feststellen müssen, daß uns manchmal Veranstaltungen entglitten sind und wir nur einen Abend plumper Schenkelklopfer geliefert haben. Da hatten wir uns von der johlende Meute treiben lassen und nichtmehr die Kurve gekriegt.

Abschlußfrage: Welche Konzepte der filmischen Darstellung politischer etc. Inhalte greifen, können neu-greifen d.h. müssen in ihrem filmischen Ausdruck eventuell umgedacht werden? Wie kann filmischer Widerstand heute überhaupt aussehen?

Ich sehe da keine Anleitung, wie man den Film mit sozialer Sprengkraft macht. Ich halte es z.T. für wesentlich subversiver ein wirklich offenes Forum für Filme zu schaffen, das einfach die bestehenden Strukturen und Hierarchien in Frage stellt, durch das Fehlen einer Vorauswahl (und Zensur). Ich hätte auch vor einem Fascho-Beitrag keine Angst. Filme sind auch nur Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse und bestehender Diskussionen. Wenn ich jetzt sagen würde, "Hört auf so dämliche Filme zu machen!" hieße es gleichzeitig an den Rest der Welt: "Hört auf so dämlich zu sein!". Ziemlich hoffnungslos.